Die Situation der ostdeutschen Landeskirchen 10 Jahre nach der Wende (NZZ Oktober 1999))
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Der vierköpfige Gemeindekirchenrat von Hanshagen traute seinen Augen kaum, als sich ihr Pfarrer auf dem Friedhof mitten auf eines der alten Gräber mit den schmiedeeisernen Kreuzen stellte und vehement deren Beseitigung forderte. Schockiert durch das selbstsichere Auftreten des Geistlichen und nach 40 Jahren DDR keine Meister des Taktierens konnten die Gemeindeältesten den Plänen nichts entgegensetzen. Die örtlichen ABM-Kräfte sollten die Grabplatten, Eisenkreuze und schmiedeeisernen Zäune mitsamt den Bäumen und Sträuchern aufräumen, d.h. zur nächsten Deponie schaffen.
Was wie ein Horrorszenario anmutet ist bereits geraume Zeit groteske Realität im Nordosten Deutschlands.
Hanshagen ist ein kleines Dorf in Mecklenburg-Vorpommern, 80 Kilometer von der polnischen Grenze und 20 Kilometer von der Ostsee entfernt. Vor dem Krieg war es ein rotes" Dorf - vor allem Sozialdemokraten und Kommunisten wurden hier gewählt. Nach dem Krieg wurde es endgültig ein rotes Dorf, mit Thälmann-Denkmal neben der Schule und einer sozialistischen Leihskulptur am Dorfbach. Das alte Pfarrhaus mit noch älteren Bäumen im Garten war dennoch Treffpunkt nach dem Gottesdienst in der gegenüberliegenden Kirche. Die für Ostdeutschland traditionellen 3 K für Kirche, Kneipe, Konsum bildeten das Ortszentrum. Jetzt steht das Pfarrhaus zum Verkauf, als kleines Schmankerl gibt es noch 7 ha Land dazu. Ein Interessent aus Göttingen gibt 30 000 DM, der Kirchenamtsverwaltung ist es sehr recht: Seien wir doch froh, wenn es endlich weg ist", so die einhellige Meinung der Verantwortlichen. Nur, was sie nicht bedacht haben - die 7 ha Land ist die seit 1956 als Naturdenkmal erklärte Heithörn", das einzige mit Buchen bestandene und geologisch einmalige Durchbruchstal im Land. Die oberste noch immer gültige Verwaltungsordnung der evangelischen Kirche in Ostdeutschland von 1986 lautet prinzipiell, daß kirchliches Vermögen...nicht ohne Not vermindert oder mit Verpflichtungen belastet" werden darf. Über die Veräußerung von Pfarrhäusern und Kirchen wurde damals überhaupt nicht gesprochen. Kommt jetzt 10 Jahre nach der schwierigen Zeit kommunistischer Herrschaft doch noch der Ausverkauf der Kirche?
Der letzte ortsansässige Pfarrer von Hanshagen zog nach der Wende weg. Das Kirchland wurde auf Erbpacht mit strengen Naturschutzauflagen an Eigenheimbesitzer abgegeben. Dann nahm der Pastor vom Nachbardorf die Kirchgemeinde Hanshagen zu seinen bereits 6 anderen Kirchgemeinden hinzu. Vor zwei Jahren mußte auch er sein Amt an einen Kollegen einer 20 Kilometer entfernten Gemeinde abgeben. Die Strukturreform der Pommerschen Landeskirche von 1997 beschied jedem Pastor auf dem Land 1000 Gläubige -das sind im Durchschnitt 8 Dörfer - in der Stadt 1500 Schäfchen. Auf 140 Sollstellen kommen 4 Vikare.
Die im Vergleich zur DDR hohen Lohnkosten von 70% eines Pfarrers aus den alten Bundesländern zwang die 8 östlichen Landeskirchen in den vergangenen Jahren immer stärker in die Knie. Der Finanzausgleich innerhalb der EKD (Evangelische Kirche Deutschland) wird überwiegend für die Pfarrer verwendet. Die aber verlieren immer mehr den Kontakt zu den entfernten Gemeinden. Die Folge: Die emotionale Bindung fehlt, die Gläubigen bleiben weg, weil sie sich nicht mehr verstanden fühlen, also werden die Pfarrstellen weiter gestrichen - ein Teufelskreis.
Die gewohnte Strukturen verschwinden: Gottesdienstzeiten ändern sich wöchentlich, in den Städten wechseln die verantwortlichen Pfarrer ständig. Die Kirchenarbeit wird, wie in Sachsen, in regionale Arbeitsschwerpunkte unterteilt, was bedeutet, daß es für ein Einzugsgebiet mehrerer Orte nur eine Jugendgruppe oder Altenbetreuung gibt, auf ehrenamtlicher Basis selbstverständlich.
Kostensparende Mehrfachnutzungen von Kirchgebäuden sind in den Großstädten von ganz Deutschland gang und gäbe. Aber, die europaweite negative Entwicklung der Kirchenmitgliedszahlen schlägt sich in Deutschlands besonders krass in den fünf neuen Bundesländern nieder. Nicht nur die demografische Entwicklung, auch die Abwanderung gen Westen hat die absoluten Zahlen der Kirchenmitglieder auf ein Minimum sinken lassen. Die brechend vollen Kirchen der Wendezeit vor 10 Jahren - eine kurze Episode. Falschmeldungen ließen die Austritte aus der Kirche rapide ansteigen. Es hieß, man müßte die Kirchensteuer für die ganze zurückliegende DDR-Zeit nachzahlen. Die Mitgliederzahlen der Landeskirchen von Anhalt, Berlin-Brandenburg, Mecklenburg, Pommern, Sachsen, der schlesischen Oberlausitz und Thüringen haben sich mittlerweile bei 20 Prozent der Bevölkerung eingependelt, mal mehr, mal weniger.
Das bedeutet immense finanzielle Probleme. In Brandenburg sank die Zahl der Pfarrstellen bisher um 500 auf rund 1000. Mit einem Rückgang der Kirchensteuern um 25% seit 1994 ist das Ausarbeiten von Nutzungskonzepten für rund 1700 Kirchen in Berlin-Brandenburg Sisyphusarbeit. Warum dann also nicht zwei Berliner Kirchen an zwei orthodoxe Gemeinden verkaufen, wie geschehen. Und warum dann nicht auch die Kirche von Magdeburg-Prester an privat verkaufen? Ein Architekt hat sich darin eingerichtet. Grundsätzlich, so heißt es aus allen 8 östlichen Konsistorien, wird nichts verkauft. Im Einzelfall schon. Wie die verunglückte, die Medien aufrüttelnde Veräußerung der zwei mecklenburgischen Dorfkirchen in Wolde und Röllenhagen 1995 zeigte, deren Eigentümern mittlerweile die Kosten über den Kopf wachsen.
Nachdem ein Pfarrer in Eigenregie und über Nacht die mecklenburgische Kirche von Groß Daberkow mit ABM-Kräften einreißen ließ, dachte der damalige Präsident der Mecklenburger Landeskirche an den forcierten Verkauf von Kirchengebäuden, um sie von privat erhalten zu lassen. Denn 700 Dorfkirchen in Mecklenburg für etwas mehr als 200 000 evangelische Christen zu erhalten, ist für die Kirchenverwaltung finanziell ein Mammutprojekt. Selbst wenn die bayrische Evangelisch-Lutherische Kirche als Partnerkirche in den vergangenen Jahren bereits mit mehreren Millionen Mark geholfen hat und auch das in den Jahren 1998 und 1999 mit je 1,5 Millionen Mark gespeiste Notsicherungsprogramm für gefährdete Dorfkirchen in Mecklenburg-Vorpommern in den nächsten beiden Jahren mit gleich hohen Beträgen fortgesetzt wird. Wenn man aber weiß, daß fast alle ostmecklenburger, pommerschen und brandenburgischen Kirchen historisch bedingt Patronatskirchen von Junkergütern waren, versteht man, was es bedeutet, daß die ehemaligen Gutskirchen von der Landesregierung nicht betreut werden und damit auf Verkauf oder Spendengelder angewiesen sind. Da ist ein Altar plötzlich weg oder ein anderes kostbares Inventar verkauft oder vom Pfarrer aus Unkenntnis weggegeben. Wie soll sich ein Pfarrer auch mit seinen bis zu 10 Gemeinden im Umkreis von bis zu 50 Kilometer vertraut machen?
Daß die radikalen Aufräumarbeiten der Pastoren zur besseren Pflege des Ex- und Interieurs der mittelalterlichen Backsteinkirchen allgemein üblich sind, kennt Sigrid Patellis vom Verein Dorfkirchen in Not" zur Genüge. Sie versuchte vor geraumer Zeit, alte Grabplatten aus dem 18. Jahrhundert vor dem Abtransport zu bewahren. Sie lehnte sie an die Kirchenwand. Am nächsten Tag waren sie weg und damit in Teil der Dorfgeschichte.
Die Pfarrer in den ländlichen Gebieten Ostdeutschlands haben durch die politischen Veränderungen vor 10 Jahren mit einer hohen Eigenverantwortung auch die Löcher im Kirchenbeutel übernommen. Einerseits sind sie zuständig für den Erhalt der Bausubstanz, andererseits sind eben ein knappes Dutzend Gottesdienstbesucher keine Seltenheit, auch in Stadtkirchen. Eine ambivalente Haltung ist da keine Seltenheit und nahezu vorprogrammiert. Die Evangelische Kirche Mecklenburg betont, stellvertretend für ihre Schwesterkirchen, ihre Verantwortung für die Verkündigung, nicht für Denkmalpflege. Zitat: Man muß sich auch mal trennen können." Seit wann ist die Kirche Christi auf Eigentum angewiesen?
Grundsätzlich verpflichtet Eigentum, das wissen nicht nur die Naturschützer sondern auch die kirchlichen Bauämter und Forstgemeinschaften. Aber die wenigen Pfarrer wollen die drückende Last der zahlreichen Immobilien los seien. Möglichst vor dem nahen Ruhestand, wie im pommerschen Hanshagen. Aber dann beginnt der örtliche Widerstand.
Ein Gutes hat der geplante Verkauf von Pfarrhäusen und Kirchenland wie im vorpommerschen Hanshagen auf jeden Fall: Es gibt endlich nach ihrer versuchten Zerstörung wieder eine Dorfgemeinschaft, die sich für ihre Kirche und Natur einsetzt.
Denn klar ist : Land kann man nur einmal verkaufen, dann ist es weg.
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