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Sendedatum: 14.7.97 Sendezeit: 14.00 Uhr, Länge: 4'38





In der Wüste gefangen

Die Wüste, die Sahara, hatte es ihm angetan...Ausgangspunkt zu den Fahrten ins Ungezähmte war Tanger, die Stadt in der Interzone - einer nach dem ersten Weltkrieg international verwalteten Zone, die bis 1956 das Eldorado war für die Beat-Generation, für Leute, die Drogen, bronzefarbene junge Männer und sich selbst bis zur Bewußtlosigkeit ausprobieren wollten.

Genau die richtige Stadt für einen wie Brion Gysin, den Downside-Schüler, den von André Breton ausgestoßenen Surrealisten, den Kostümbildner, Dreammachine-Erfinder und Beatnik - für einen, der schrieb und sang, um geliebt zu werden:

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CD 9 "I want somebody..." (CD Gysin "Self portrait jumping" 1974 1993 mit Ramuntcho Matta) Titel 9 0'10 s

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Brion Gysin war einer, der gemeinsam mit dem erst kürzlich verstorbenen William S. Burrough die Cut-up-Methode kultivierte, eine Art der Dekonstruktion von Zeitungstexten, von Sätzen und dem Wort im allgemeinen:

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"Recalling all active Agents..." (CD William S. Burroughs "Break through in grey room" 1986) 0'10

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Zwar gehörte Gysin nie richtig zu dem Kern der Beat-Generation, bis zu seinem unerwarteten Tod 1986 nicht, aber engen Kontakt hatte er immer zu Burroughs, den Urvater jener Generation, den er 1958 im Pariser Beat-Hotel in der 9, rue Git-le-Coeur traf und mit dem er bis 1978 drei Bücher herausbrachte, das bekannteste davon ist wohl "The Third mind".

Brion Gysins vielseitige Begabung zeigte sich nicht nur im Umgang mit der Sprache. Nachdem er 1932 mit 16 Jahren sich an ersten Gedichten versucht hatte, folgten bald auch Zeichnungen. Aber Zeit seines Lebens beklagte er sein Schicksal als Künstler, dessen Werk zu wenig umfangreich sei und daß er ohne Atelier ja auch gar kein Maler wäre.

In einem Interview der Zeitschrift Research von 1982 führt er aus, wie formloser...mysteriöser Malerei ist als Schreiben. Und so entwickelt er 1962 seinen Rollerstempel, mit dem er "magische" Gitter auf Papier und Leinwand rollt, um sie dann mit seinen Kalligraphien zu füllen.

Ja, die Kalligraphien...sie sind das eigentliche Merkmal von Gysin, in all seinen Büchern. Während seines Wehrdienstes bei der amerikanischen Armee hatte er die japanische Sprache und Kalligraphie erlernt. Zusammen mit den arabischen Schriftzeichen aus Marokko und seinem Rollerstempel entstanden dann später seine Grafiken der Bildersprache, rätselhaft und einfach zugleich.

Aus all dieser Vielfältigkeit haben nun die Herausgeber Esther und Udo Breger aus Basel ein Buch zusammengestellt, das Gysin gerecht werden und ihn erstmals durch eine Textsammlung im deutschsprachigen Raum bekannter machen soll. Der Verleger Christian Pixis aus München hat sich Autoren verschrieben, die seiner Meinung nach zu den Großen der Underground-literatur zählen, wie eben Brion Gysin. Die Gysin-Ausgabe trägt deshalb auch den Titel "Umherschweifen. Beute machen". Pixis ist erst über die lateinamerikanische Literatur an die Beat-Generation gekommen, hat dort "Beute gemacht". Oder besser gesagt bei Udo und Esther Breger, den Herausgebern des schmalen gelben Bändchens. Udo Breger war ein sehr guter Bekannter von Gysin...er war dabei, als die engsten Freunde die Asche des Verstorbenen Gysin im Januar 1987 an der Küste von Tanger verstreuten. So ist es nicht verwunderlich, daß Breger ein Gespräch von Gysin und ihm vier Jahre vor dessen Tod mit einarbeiten konnte in die kleine Anthologie.

Die Auswahl der Texte soll einen Querschnitt geben durch Gysins Schaffen. Von einem frühen Text aus dem Jahre 1946 bis hin zu den erst 1984 veröffentlichten Erzählungen "Zeit in der Sonne" und "Das Hobby des Sultans". Erzählungen, die in der Tradition des orientalischen Geschichtenerzählers stehen. Gysin beschäftigte sich während seiner Zeit in Tanger intensiv mit der Kultur Marokkos, mit den Joujouka-Musikern und mit der Weltsicht der Tuareg. So ist er z.B. fasziniert von der Hilflosigkeit der Wüstennomaden beim Anblick eines Photos, auf dem sie nichts erkennen. Sie können Bilder nicht "lesen", nur verschleierte Frauen ohne Schleier sehen, was für Europäer unmöglich bleibt. Und auch, daß der Ramadan, der Fastenmonat des Islam, nicht für alle Moslems bindend ist, beschreibt Gysin in "Zeit der Sonne", einer Liebesgeschichte islamischer Art.

Die eigentlichen Cut-ups, die Gysin als Beatnik ausgemacht haben, sind auf 9 von 122 Seiten stark unterrepräsentiert. So bleibt das Buch zwar lesbarer, läßt dadurch aber die Werke weg, die vor knapp 40 Jahren aufhorchen ließen in der amerikanischen Literatur. Und das zugunsten des Sozialwissenschaftlers und auskunftsfreudigen Gesprächspartners Gysin, der in "Jagt mich nicht" sein Buch über das Symbol "Onkel Tom" ebenso verteidigt wie die Forschungen zur "Geschichte der Sklaverei in Canada", die ihm zu einem Forschungsstipendium der Fulbright-Stiftung verhalf.

Die meisten der in dem Büchlein versammelten Texte sind traditionell geschriebene Texte, die sich um Theorien des Cut-up-Autoren Gysin nicht scheren, der einmal während einer Jam-Session im Dezember 1960 seine Zuhörer vom Wort befreien wollte.

O-Ton: Am Anfang war das Wort - und ist viel zu lang in eurem Inneren gewesen. Ich lösche das Wort aus. Ihr im Wort und das Wort in Euch - ein Wort-Kombinationsschloß wie bei einem Tresor oder Gepäckstück. Falls euch euer Tresor gefällt, dann hört nicht weiter hin. Schon drehe ich am Schloß eures Innenraumes. Gefangene: Kommt heraus!

Das Büchlein der Edition Pixis hat ergänzende Texte gesammelt für den, der Gysin-Publikationen bereits gelesen hat, der Tanger kennt und die Beat-Generation. Vielleicht kann es aber auch den neugierig machen, der noch nie etwas von dem Verwandlungskünstler Brion Gysin gehört hat. Die Frage ist nur, ob dazu der Autor von dem Verleger und den Herausgebern noch so interpretiert werden mußte, daß die ausdrucksstarken Kalligraphiegrafiken mit Auszügen aus den Texten unterlegt wurden. Vielleicht war das ja aber eine Idee des für Satz und Reihengestaltung verantwortlichen Sascha Anderson aus Berlin.
Susanne Lettenbauer

Kapuzinerstr. 19

80337 München

Tel./Fax. 089 / 54 39 789

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M.Möller-Beck

Sendedatum: 29.08.97

Sendezeit: 14.00-15.00 Uhr

Länge:

Fax: 040/ 4156-3015



In der Wüste gefangen

Brion Gysin "Umherschweifen. Beute machen", Edition pixis bei Janus Press 1997, DM

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Anmoderationsvorschlag:


Erst vor kurzem ist Williams S. Burroughs gestorben, der Vater der Beat-Generation.

Jetzt im erschien in der Edition Pixis, München/Berlin ein Buch über den weniger bekannten Brion Gysin, der vor 11 Jahren starb und als Erfinder der Dream-machine und des Cut-up gilt.

Auf Deutsch liegen von ihm bislang nur kurze Texte in größeren Anthologien vor und auch die CD's mit seiner Poésie sonore sind hierzulange nicht zu finden. Eine kleine Abhilfe soll nun dieses Büchlein schaffen - wie es ihm gelingt, dazu Susanne Lettenbauer:


BAND: A. Die Wüste, die Sahara, hatte es Brion...

E. ...verantwortlichen Sascha Anderson aus Berlin.