Die Europäische Akademie in Külz/ Kulice Hinterpommern (WDR 5 Alte und neue Heimat) _________________________________________________________________________


Anmoderationsvorschlag:



Vor 3 Jahren wurde die festliche Einweihung der deutsch-polnischen Tagungsstätte im polnischen Kulice (früher Külz) von der deutschen Presse mit Schlagzeilen begleitet. Die damaligen Größen der deutschen Politik wie Außenminister Klaus Kinkel, der frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt und auch Bundespräsident Roman Herzog reisten eigens für dieses Ereignis auf das hinterpommersche Land.
Nicht nur die Errettung eines alten pommerschen Gutshauses sondern auch ein Ort, der künftig für die Aussöhnung zwischen Deutschland und Polen stehen sollte wurde im kleinen Dorf Kulice nahe Nowogard gefeiert. Alles Gute ist der neuen Begegnungsstätte, die seit Anfang dieses Jahres Europäische Akademie heißt, damals gewünscht worden, von allen Seiten - aber hat das Wünschen auch geholfen?
Ein Bericht aus der Normalität in Kulice von Susanne Lettenbauer:



Das Licht aus dem Garten spielt auf den großformatigen Fotos an den Wänden der Orangerie. Klaus Kinkel sieht man da, scherzend und fröhlich mit Roman Herzog, Helmut Schmidt im Gespräch mit dem Stettiner Stadtpräsidenten, Philipp von Bismarck im Kreis mit anderen ehemaligen Pommern...dt.-polnische Aufbruchstimmung, ein Festtag in den Beziehungen zwischen Polen und Deutschland...Bilder vom 23. September 1995. Festliche Aufbruchstimmung - das war das Gefühl, das hier mit diesem Hause bereits 1991 in Külz, begann.
Seinen krönenden Abschluß konnte es in einem Triumph des europäischen Denkens über das nationale Denken" finden - wie es ein polnischer Gast bei der Eröffnungsfeier überschwenglich bezeichnete. Die Leiterin Lisaweta von Zitzewitz:

O-Ton: Es hat sich auf einem gewissen Niveau eingependelt...durchaus erweiterungsfähig. (20)

Seit der Eröffnung im September 1995 sind eine Vielzahl von Seminaren in den zwei Tagungsräumen abgehalten worden. Entweder waren es historische Themen, wie die Entwicklung der Stadt Stolp, die Familie Bismarck in Hinterpommern, Auf Spurensuche in der Heimat.
Oder es wurden Seminare zum Thema Müllentsorgung, soziale Marktwirtschaft, Investieren in Polen und Wissenschaft im zusammenwachsenden Europa angeboten. Häufig waren polnische Gäste in der Mehrzahl, besonders in der Anfangszeit, um die neue Tagungs-und Begegnungsstätte argwöhnisch zu begutachten, wie man der örtlichen Zeitung Dziennik Nowogardzki" 1996 entnehmen konnte:

Zitat: Warum müssen gerade wir uns mit den schwierigen Problemen der deutsch-polnischen Beziehungen befassen? Für diejenigen Polen, die im Innern des Landes oder weiter im Osten wohnen, sind diese Probleme uninteressant. Was tun wir, wenn uns voller Optimismus die Hände zur Versöhnung entgegengestreckt werden? Wir müssen die Hände kritisch anschauen, denn diese Hände haben Unrecht getan, an welches sich unsere Väter und Mütter und noch mehr unsere Großeltern erinnern. Doch nach kurzem Zögern kommt ein anderer Gedanke und Neugier. Es hat sich doch in dem halben Jahrhundert etwas geändert, denn es herrschen gute Beziehungen zwischen den Feinden von einst. Und da die einstigen Feinde heute normal miteinander leben, ist das nicht auch eine Chance für uns? Nicht die Geschichte, sondern die Zukunft ist maßgebend. bei den Herausforderungen können wir verlieren oder gewinnen, aber das liegt bei uns. (Dziennik Nowogardzki 9. April 1996)

Man mag antworten, hier wie da gibt es Erinnerungen, die vergrämte Menschen hinterließen. Menschen, die dem Lauf der deutsch-polnischen Gegenwart nur widerwillig hinterherhinken. Diese aber fahren nicht nach Külz.
Jetzt verlangen handfeste aktuelle Themen wie das der EU-Osterweiterung Aufmerksamkeit - mehr als es Polen wohl lieb ist:

O-Ton: Was man mit der Landwirtschaft...andere Beschäftigungsmöglichkeiten finden. (18)

Große Hoffnungen auf ausreichend Beschäftigung durch das wiedererrichtete Haus hatte man sich im Dorf gemacht, nun nachdem die Kolchose geschlossen hatte, der frühere Kulturraum im Gutshaus wegfiel und Arbeitsplätze rar sind. Doch nur zu den einzelnen Seminaren wird Hilfe aus der Umgebung angefordert - Betreuung der Gäste und der 18 Appartements auf Stundenbasis ...das ist keine Entlastung der Arbeitslosigkeit.
Den Kontakt zum Dorf versucht Lisaweta von Zitzewitz auf anderem Wege herzustellen. Es werden Deutschkurse angeboten, man werkelt gemeinsam an einem Dorfspielplatz für die Kinder, feiert gemeinsam Weihnachten:

O-Ton: Man muß, glaube ich, unterscheiden...wohnen ungefähr 200 Menschen. (19)

Scheu oder stolz, gleichgültig oder aufgeschlossen ist diese Dorfbevölkerung dem strahlend cremefarbenen Haus gegenüber eingestellt, dazu die vier stattlichen Auffahrtsalleen und der gepflegte Park...Mondän wäre aber das falsche Wort, wollte man - wie Margrit Schlegel - die Größe des Gutshauses beschreiben:

O-Ton: Daß es so klein ist, das liegt ja...Vorbild für die Menschen in ihren Dörfern. (18)

Die knallbunten Fotos von der Eröffnungsfeier 1995, die scherzenden deutschen und polnischen Politiker sind eine Seite vom Külzer Gutshaus. Zwei Räume von der Orangerie mit seiner luftigen, entspannenden Atmosphäre entfernt hängen die kleinen, etwas nachgedunkelten Fotos , die den Major" zeigen...Bernhard von Bismarck in seinem Arbeitszimmer, Bernhard vor dem Gutshaus mitsamt Ehefrau und Besuch, dann das Gutshaus bei strahlender Sonne und.Schnee.
Martha Peters, geb. Wendlandt über Külz vor dem 3. Reich:

Zitat: Nach Beendigung der Schule habe ich hier auf dem Gut ein landwirtschaftliches Pflichtjahr geleistet. Ich habe bei Pflege- und Aufforstungsarbeiten im Wald gearbeitet und wurde auch bei den anfallenden Feldarbeiten eingesetzt. Mein Stundenlohn betrug 17 Pfennige, dazu etwas Deputat. Der Arbeitstag für die Landarbeiter betrug 10 Stunden in der hellen Jahreszeit, neun und auch nur acht Stunden im Spätherbst und Winter. gegenüber vom Gutshof stand ein großer Baum. An diesem Baum hing ein Pflugschar mit zwei Hämmern. Vor Arbeitsbeginn morgens und mittags schlug der Verwalter mit den Hämmern auf das Pflugschar. das dröhnte so lau, des es ein jeder im Dorf, sogar wir auf der Zampelmühle hören konnten. (September 1996 Vortrag Martha Peters, geb. Wendlandt)

Margrit Schlegel, Vorsitzende des Naugarder Heimatkreis aus Deutschland, 1937 im nahegelegenen Naugard geboren:

O-Ton: Mein Vater hatte ein Tabakwarengeschäft..man hatte nicht das Gefühl, das sind andere Menschen. (15)

Vergangenheit wird Zukunft" - so lautet das Credo in Külz. Philipp von Bismarck prägte es.
Der heute 85jährige Herr, vormals Abgeordneter des Deutschen Bundestages und Europäischen Parlamentes, außerdem Sprecher der Pommerschen Landsmannschaft und Mitbegründer der Ostsee-Akademie in Lübeck-Travemünde, erfuhr 1991 von dem desolaten Zustand des ehemaligen Gutshauses. Er setzte alle ideellen und finanziellen Kräfte frei, das Haus der Familie von Bismarck zu erhalten und nutzbar zu machen. Er suchte in Polen und Deutschland wohlwollende Zustimmung, gewann Ewa Stanecka, die Leitende Konservatorin der Woiwodschaft Stettin für sein Vorhaben und konnte 1993 zwei Trägergesellschaften gründen, die sich für die europäische Nutzung des alten Külzer Gutshauses einsetzen - die Entwicklungsgesellschft für deutsch-polnische Zusammenarbeit mit Sitz in Hannover und die Fundatia Europea Pomerania mit Sitz in Stettin.
Daß Philipp von Bismarck ein Urgroßneffe des ersten deutschen Reichskanzlers Otto von Bismarck ist und aus dem alten pommerschen Geschlecht derer von Bismarcks stammt, ist für sein Engagement eher zweitrangig. Auch die Leiterin Lisaweta von Zitzewitz kann auf uralte pommersche Familientraditionen zurückblicken, deren Mittelpunkt der Ort Zitzewitz, heute Sycewice, bildete.
Der familiäre Bezug zu Külz und Hinterpommern ist also da, ohne Zweifel, das wird nicht abgestritten, aber... warum nicht die vielbeschworene kontroverse Vergangenheit miteinbeziehen für etas Neues, ein altes Gebäude restaurieren, um in diesem dem künftigen, schwierigen Europa zu begegnen und zu diskutieren?

O-Ton: Ich denke die Beziehung zu Pommern nimmt kontinuierlich ab...von meiner Familie. (16)
O-Ton: Es ist eigentlich wie eine dritte Heimat...kann man sich ja näherkommen. (16)

Als erhaltenswertes europäisches Kulturdenkmal" eingestuft, hat das Gutshaus in Külz nicht mehr nur deutsche oder polnische sondern europaweite Bedeutung bekommen - eine Möglichkeit, europäisches Denken weiterzutragen und entwickeln zu helfen. Ein Denken, daß nicht einfach an Staatsgrenzen halt macht, sondern zur Zukunft übergeht.

O-Ton: Also wir haben noch vor, Jugendbegegnungen...solche Sachen werden wir machen. (22)

Mit der seit Januar neuen Bezeichnung Europäische Akademie Külz-Kulice wollen die Fundatia als Rechtsperson und Lisaweta von Zitzewitz ihr Haus noch mehr nach Europa hin öffnen, wollen nationale Themen im europäischen Kontext verstanden wissen.
So wird man einmal mehr daran erinnert, daß in dem Kuratorium der Fundatia Europea Pomerania neben Polen und Deutschen auch der ehemalige französische Botschafter in Moskau Henry Froment-Meûrice sitzt. Aus Vergangenheit wird Zukunft, so heißt das Credo hier.