Dietrich Bonhoeffer und die Bekennende Kirche in Hinterpommern (WDR Alte und neue Heimat) _________________________________________________________________________


Anmoderationsvorschlag:



Vielen ist der Name Dietrich Bonhoeffer ein Ausdruck für den zähen Kampf der Kirche im Dritten Reich. Ein Kampf gegen Verunglimpfung der Bibel, gegen die Christenhetze der Nazis. Und nicht zuletzt ist der Name Bonhoeffer auch Ausdruck für das Scheitern dieses Widerstandes noch kurz vor Kriegsende. Für diesen Kampf um Glauben und Christentum hatte Bonhoeffer Mitstreiter gefunden, im Ausland und auch bei einem Teil der Kirche in Deutschland. Mit eine der wichtigsten Unterstützung leistete die Bekennende Kirche von Pommern, insbesondere der Kirchenkreis Köslin. Susanne Lettenbauer erklärt, warum:


Nur wenige Kilometer ist der kleine Ort Finkenwalde (polnisch Zdroja) von Stettin, der ehemaligen Landeshauptstadt Pommerns, entfernt.
Es ist der 24. Juni 1935, als 15 junge Männer, das erste theologische Examen gerade hinter sich, in diesem Ort ein geräumiges Haus inmitten alter Bäume beziehen:

Zitat (Bethge: DB, 1967, S. 489):
...wir wollen jetzt auf dauernd ziehn
nach Finkenwalde bei Stettin.
Ein altes Gutshaus steht dort frei,
das Wohnung für uns alle sei.
Doch ist es völlig leer, man denke:
nur ein'ge Betten sind und Schränke
vorhanden in des Hauses Hallen.
Es würde drum uns sehr gefallen
und wäre unser groß Begehren
das Mobiliar dort zu vermehren,
ein wenig Hilfe uns zu leisten
denn dieses wissen ja die Meisten,
daß unsrer Kirche in der Welt
es mangelt fürchterlich an Geld...


Nahezu illegal, ohne Geld, nur mit eigenen Büchern und auf die Unterstützung von Kirchgemeinden angewiesen - das waren die Voraussetzungen für den ersten Kurs des Predigerseminars unter dem Seminarleiter Dietrich Bonhoeffer in Finkenwalde 1935.
Mit einer der ersten war Eberhard Bethge, der gerade erst aus seinem Seminar in Wittenberg wegen kritischer Äußerungen rausgeflogen war:

O-Ton: Ich bin ja einen Tag zu spät gekommen und dann hieß es, ja, der da ist der Herr Direktor. Er verbat sich aber bald, daß wir Herr Direktor sagten, sondern wir sollten ihn dann mit Bruder Bonhoeffer anreden. Als ich da ankam, da waren alle schon versammelt, da gab es die Berlin-Brandenburger, die meistens Bonhoeffer schon kannten. Ich kam aus der Provinz Sachsen und hatte keine Ahnung, den Namen noch nie gehört und wußte gar nicht, wer das war. Aber er nahm mich gleich zur Seite, ging mit mir am Strand auf und ab, ließ sich von mir erzählen von meiner Vergangenheit, vor allem ließ er sich erzählen von meinem Rausschmiss durch die offizielle Kirche aus dem Predigerseminar in Wittenberg, der ja unseren eigenen Weg sehr stark bestimmt hatte.

Als eines von fünf geplanten Predigerseminaren im Reich wollte die Bekennende Kirche hier mit dem pommerschen Bruderrat von Stettin nach ihrer berühmten Barmer Bekenntnissynode auf eigene Kosten Theologen weiterbilden und zur Ordination führen.
Vorangegangen war dieser Entscheidung der Rücktritt des allgemein anerkannten Reichsbischofs Bodelschwingh nach nur zwei Dutzend Diensttagen 1933 und die Ernennung seines Nachfolgers Ludwig Müller, der im April 1934 die Gleichschaltung der Landeskirchen veranlaßte. Weg vom Alten Testament, weg von allen jüdischen Elementen in der Bibel hin zu einer nordischen Religion. Selbst unter deutschnationalen Pfarrern in Pommern gab es dazu Widerstand, so Alexander von Derschau aus Zezenow:

Zitat: Als 1933 die Deutschen Christen ihre Tätigkeit begannen, neigte ich ihnen zu, da ich ein rechter Deutscher und von ganzem Herzen Christ sein wollte. Doch durch die Sportpalastkundgebung, wo das Alte Testament als Judenbuch verworfen wurde und auch Teile des Neuen Testaments, die den Nazis nicht paßten, wurde mir klar, daß hier die Kirche vor den Wagen Hitlers gespannt werden sollte...Fortan nahm ich, so weit es möglich war, an den Pommerschen Bekenntnissynoden teil.

Durch Zufall zwar nach Pommern verschlagen, war diese Provinz aber der beste Zufall, der den jungen Finkenwaldern in einer Zeit der allgemeinen Wehrpflicht und besonderer Observierung passieren konnte.
Noch gab es nicht das Kirchenministerium unter Hans Kerrl, das der Bekennenden Kirche durch die Konsistorien und Ausschüsse das Rückgrat brechen sollte.
Selbst der Himmler-Erlaß vom September 1937 gegen jede theologische Ausbildung außerhalb der vom Staat unterstützten Deutschkirche griff in Pommern erst 1940 rigoros ein und setzte den Seminaren ein Ende.
Doch vorerst hatte Bonhoeffer mit dem alten Gutshaus der Famile von Katte in der dünnbesiedelten Provinz Pommern enormes Glück gehabt.
Aber Pommern hinkt immer etwas nach", war sein Eindruck:

O-Ton: Die Pommern an sich sind, na sagen wir mal, wißbegierig zwar, aber mißtrauisch auch. Bevor die sich zu etwas bekennen, sei es zur Kirche, dauert das seine Zeit, aber wenn sie sich bekannt haben, dann sind sie treu wie Gold, man kann auch sagen toll wie Wasser oder Kiepe. Und dann halten sie auch dazu...Die Kinder gingen in den Kindergottesdienst, gingen vor der Konfirmation auch zu Vereinigungen, ich selbst habe an methodistischen Abenden teilgenommen, ich kannte die Neuapostolischen, die Baptisten. Das gab es alles in Köslin.

So Franz Schwenkler, ein ehemaliger Kaufmann aus Köslin, geboren 1911.
Der aus der Tradition des 19. Jahrhunderts stammende, pietistisch beeinflußte Glaube eines Großteils der hinterpommerschen Bevölkerung hatte eine Laienbewegung hervorgebracht, die den Pfarrer und die Gemeinde praktisch gleichstellte. Bibelstunden wurden von Laien abgehalten, die Gemeindemitglieder diskutierten untereinander Glaubenssachen.
Diese Offenheit in kirchlichen Fragen wurde noch unterstützt durch das heute mittelalterlich anmutende Patronatsrecht der pommerschen Großgrundbesitzer, das ihnen das Recht zur Besetzung ihrer Pfarrstellen einräumte und häufig von ihnen für die Aufrechterhaltung einer umfassenden Gemeindearbeit genutzt wurde. Einer von ihnen war Reinhold von Thadden-Trieglaff, der spätere Gründervater des Deutschen Kirchentages.
Eine wichtige Rolle spielte auch Ruth von Kleist in Klein Krössin, auf deren Gut sich Bonhoeffer häufig zurückzog:

O-Ton: Ruth von Kleist war eine unglaubliche Frau. Erstens trieb sie nachdrücklich Theologie, interessierte sich für Karl Barth. Und sie war dann ganz wild auf Bonhoeffer, war ihm manchmal auch fast lästig, dem Dietrich und Dietrich hatte es gern, wenn ich mitkam und sie dann für eine Weile übernahm, weil sie oft sehr anstrengend war.

Trotzdem war Bonhoeffer froh, als er sein Buch Nachfolge bei ihr schreiben konnte, dort auch Ewald von Kleist traf und relative Ruhe vor Bespitzelungen hatte.
Aber nicht nur die rechtlich festgeschriebenen Besonderheiten dieser Agrarprovinz Pommern unterstützten das Predigerseminar bei Stettin, sondern auch und neben dem Superintendent von Schlawe vor allem der Superintendent Friedrich Onnasch von der St. Marienkirche Köslin und dem dazugehörigen zweitgrößten Kirchenkreis.
Bereits 1934 vom Dienst suspendiert, aber auf Protest der Gemeinde wieder eingesetzt, rückte der Supus", wie er vertraulich genannt wurde, trotz deutschnationaler Überzeugung und loyalem Standpunkt gegenüber dem Hitlerstaat nie von seinem Glauben an eine Kirche ab, für die man sich einsetzen muß...mit (fast) allen Mitteln - darin ging er mit Bonhoeffer konform. Er, der Fels in der Brandung", wie Franz Schwenkler ihn beschreibt:

O-Ton: Wenn ich wußte, der Onnasch predigt, ging ich zur Kirche. Der zog die Menschen an, das was er sagte, war aus dem Herzen gesprochen, er hatte ein hervorragendes Organ. Was er sagte, da glaubte er selbst dran. Er versuchte rücksichtslos auf sich selbst, auch das den Menschen zu sagen. Und das imponiert natürlich so einem jungen Mann.

Fraglos half Superintendent Onnasch mit, als Bonhoeffer im November 1937 von Finkenwalde mit seinem Predigerseminar, das nun als Sammelvikariat bezeichnet wurde, nach Köslin und Schlawe ausweichen mußte und Hilfsprediger beim Supus" wurde:
Onnasch selbst:

Zitat: Augenblicklich ist alles so dunkel, daß keiner von uns weiß, was morgen oder übermorgen sein wird. Es ist bei den Männern oben natürlich Ratlosigkeit auf der einen Seite und auf der anderen Seite doch nicht der Mut, offen zu sagen: Schluß mit solchem Geist! Wir müssen einen neuen Weg gehen! Zu diesem Mut müssen wir den Männern verhelfen! Wir müssen zur Klarheit kommen! Wir dürfen nicht in diesem Hin und Her stecken bleiben! Dies dauernde Hin und Her in der Kirchenführung ist für uns Pastoren am allerschwersten. Und die ganze Zeit seit dem Sommer ist für nichts vertan und verlaufen und mit nichts anderem ausgefüllt als mit Unordnung und Unruhe. Das muß anders werden! Vorher fangen wir nicht an, die neue Evangelische Kirche zu bauen. Sonst nehmen wir einen heillosen Schaden.

Die Biografin des Superintenten, Brigitte Metz aus Usedom, kennt ihn noch radikaler:

O-Ton: Er ist auf alle Fälle eine Persönlichkeit gewesen, obwohl ich sagen muß, rein menschlich habe ich zu ihm nur schwer Zugang gefunden, und zwar...es ist mir von zwei Seiten ein Ausspruch genannt worden...gegenüber dem Konsistorialrat Böthers...daß er vor einem Pfarrkonvent der Bekennenden Kirche, wo Böthers versucht hat, um Verständnis für seine Haltung zu werben, gesagt hat: Ernst Böthers, Du hast Deinen Namen stinkend gemacht."...und der mir das erzählte war einer, der selber zu den Deutschen Christen gehört hatte...und der mir dann sagte, daß Onnasch dann sagte, im nächsten Augenblick, nachdem er ihm so die Wahrheit ins Gesicht geknallt hatte: Wie geht es Deiner Frau und Deinen lieben Kindern?"

O-Ton: Daß Bonhoeffer in den Kirchenkreis Köslin gekommen ist und dort seine Sammelvikariate eingerichtet hat, hängt wohl wesentlich damit zusammen, daß er wußte, er kann sich auf meinen Großvater als den Superintendenten verlassen. Mein Vater war einer der Mitarbeiter und stand zur Verfügung, um dieses Sammelvikariat in dem Wohnhaus des Superintendenten zu leiten.

Prof. Martin Onnasch, ein Enkel des Kösliner Superintendenten lebt seit kurzem im vorpommerschen Greifswald. Er lehrt an der Universität Kirchengeschichte, u.a. auch Pommersche Kirchengeschichte des 20. Jahrhunderts.
Sein Vater Fritz Onnasch besuchte als einer der ersten das Predigerseminar Finkenwalde, war Inspektor eines Sammelvikariats in Köslin und gehörte bis zum Schluß zum Freundeskreis Bonhoeffers.

Wichtig ist auch für Köslin wohl gewesen, daß es meinem Großvater gelungen ist, den Standort der Wehrmacht als einen Schutzraum hinter sich zu bringen. Er war ja Standortpfarrer und die Wehrmacht in Köslin hat jedenfalls schützend über diese Arbeit ihren Arm gehalten, dafür gibt es einige Anzeichen, daß das so gewesen ist. Das bedeutet natürlich auch, daß hier der Einfluß des Generalfeldmarschalls von Mackensen, einer der großen und bekannten Militärs, da helfend eingegriffen hat, so daß sich ein Geflecht ergibt. 1'01 (12)

In Pommern, weit ab vom Geschehen konnten sich so im Laufe der Zeit 184 junge Theologen sammeln, deren gemeinsame Bibelarbeit für Dietrich Bonhoeffer die beruflich und menschlich ausgefüllteste Zeit bisher" werden sollte.
Die gravierenden Meinungsunterschiede zwischen den Deutschen Christen, die nie Fuß fassen konnten in Köslin und den Vertretern der Bekennenden Kirche, die die grüne Mitgliedskarte statt der üblichen Roten hatten, wurde in Pommern nie so öffentlich ausgetragen wie in anderen Teilen Deutschlands. Man akzeptierte sich zwar nicht, gab sich nicht die Hand. Dennoch wollten sich die Pfarrer vor der Gemeinde nicht die Blöße geben, wie zerstrittene Brüder dazustehen. In Pommern ist wohl deshalb auch nie ein Fall bekannt geworden, bei dem ein Pfarrer den anderen denunzierte, das besorgten oft schon Lehrer, die als Organisten aushalfen.
So war es möglich, daß die Bevölkerung Köslins nur wenig von den innerkirchlichen Spaltungen erfuhr oder auch nur von dem Theologen Bonhoeffer, der von 1937-1940 immer zwischen Berlin-Köslin und Schlawe pendelte und einige Male sogar zum Gottesdienst in der Marienkirche eingetragen war.
Franz Schwenkler:

O-Ton: Nein, ich kannte auch damals den Ausdruck Bekennende Kirche kaum. Man wußte, daß sich ein Kreis um Onnasch herum gebildet hatte, die, na wir sagten damals, besonders strenge Christen waren, aber der Begriff Bekennende Kirche ist für mich erst nach 1945 bekannt geworden.

Superintendent Friedrich Onnasch mußte sehr bald merken, wie er immer mehr unter Druck geriet. Mehrmals wurde er von der Gestapo verhört, bis er schließlich im September 1940 auf die Pfarrstelle Berlinchen in die Neumark abgeschoben wurde.
Redeverbot für das gesamte Reich, Aufenthaltsverbot für die ganze Provinz Pommern...das war die Reaktion der Staatsgewalt auf seine engagierte Verteidigung der Bibel, auf die Unterstützung Bonhoeffers und die Unbelehrbarkeit hinsichtlich der erstrebten, neuen nationalsozialistischen Religion.
Das Ende dieser Naziblasphemie konnten beide nicht mehr erleben, Bonhoeffer nicht und Onnasch auch nicht. Der eine von den Nazis ermordet, der andere willkürlich von den Russen erschossen.
Vielleicht hätten sie der schwachen Kirche nach dem Krieg helfen können, verbunden durch die christliche Tradition, trotz allem Zusammenhalt zu bewahren. Deutliche Worte sind es, die der alte Kösliner heute vermißt. Ein Bekenntnis, wozu auch immer, nur ein Bekenntnis sollte es sein.

Musik: Johann Bach Unser Leben ist ein Schatten...