Jaques Offenbach Hoffmanns Erzählungen" und der Indizio Princeps (SWR 2 Musik Aktuell, 22.1.1999)

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Anmoderationsvorschlag:


Seit im November vergangenen Jahres der bislang verschollene 4.Akt aus Jaques Offenbachs Hoffmanns Erzählungen" im Mainzer Schott-Verlag veröffentlicht wurde, reißen die Gerüchte um das Notenmaterial nicht ab. Wer ist der rechtmäßige Besitzer des handschriftlichen Originals - der Mainzer Musik Verlag oder doch der Vertreter des französischen Operndirektors? Beide Seiten haben die Noten zu unterschiedlichen Zeiten per Kaufvertrag erworben, beide Seiten beanspruchen das Erstveröffentlichungsrecht.
Die deutsche Seiten hat indessen mit der Uraufführung am 24.1.99 an der Hamburger Staatsoper vollendete Tatsachen geschaffen, gegen den Willen der französischen Seite.
Den Streit um das Original des bislang verschollenen Venedig-Finales aus Offenbachs Hoffmanns Erzählungen" versucht Susanne Lettenbauer zu hinterfragen:



Das Objekt des deutsch-französischen Streites ist recht unscheinbar. Rasch hingekritzelte, winzige Noten, flüchtige Akkordanweisungen, dazu die Textpartien der Sänger.
Den 24 Seiten mit ihren 144 Takten sieht man ihre Brisanz nicht an, kaum vermutet man, daß sie Auslöser eines handfesten Streits zwischen Musikwissenschaftlern, Verlegern und nun auch Anwälten sind - wären die Noten nicht das längst verloren geglaubte Finale des 4. Aktes aus Hoffmanns Erzählungen" von Jaques Offenbach, geschrieben wenige Tage vor seinem Tod im Oktober 1880, in zwei Tagen nun welturaufgeführt an der Hamburger Staatsoper.
Intendant Albin Hänseroth:

O-Ton: Es ist seit 10 Jahren und noch länger kein Hoffmann...diese Finale gefunden...(3'06) es wurde uns im Oktober...hat es uns angeboten. (21)

Die Odyssee dieser Noten ist lang und mystisch bis heute wie das gesamte Werk. Nur wenige Tage vor der Uraufführung posthum im Februar 1881 wurde der 4. Akt als zu kompliziert verworfen und ganz gestrichen, in späteren Aufführungen dann nur fragmentarisch in das Werk eingebaut. Seit 1904 lagen die Originale des 4.Aktes in dem Schloß Cormatin des damaligen Operndirektors von Monte Carlo, Raoul Gunsbourg. Dort begann nun, über 80 Jahre später, der Wettlauf um die rechtlichen Besitzverhältnisse an dem Finale des 4. Aktes - so erzählt es Andreas Krause, der Lektor des traditionsreichen Mainzer Musik-Verlages Schott - der 1994 persönlich nach Cormatin fuhr und gleich abwehrt...:

O-Ton: Da ist gar nichts ominöses dabei...neben dem Kamin zum Anfeuern. (25)

Der erste Teil dieses Fundes war bereits 1984 bei Sothebys versteigert und von dem Amerikaner Fredrik R. Koch erworben worden. Der amerikanische Musikwissenschaftler Michael Kaye bekam den Auftrag, die Blätter zu edieren. Nur was bei diesem Konvolut von 350 Seiten nicht dabei war, war das Finale des 4. Aktes, dem sogenannten Giulietta-Akt. Die Originale sollten getrennt verkauft werden, um einen höheren Preis dafür verlangen zu können.
Michael Kaye publizierte 1988 trotzdem seine Neufassung, basierend auf den handschriftlichen Originalen aus Cormatin, die so berühmte Stücke wie die Spiegelarie und das Sextett nicht enthalten und die Rezitative durch gesprochene Dialoge ersetzt.
Noch im selben Jahr mußte Kaye seine Edition das erste Mal revidieren. Josef Heinzelmann hatte das Zensurlibretto wiedergefunden, in dem die Textanweisungen für den 4.Akt vollständig erhalten sind, auch für das Finale. Entgegen jahrzehntelanger Auffassungen der Musikwelt war sich Kaye also in Bezug auf das musikalische Finale des Giulietta-Aktes sicher:

O-Ton: Ja, er hat es vollendet... 0'20 (32)

Die Überraschung hielt sich für ihn also in Grenzen, als letztlich 1993 dann die Originalhandschriften Offenbachs in Frankreich auftauchten. Der damalige Pariser Operndirektor Yves Josse hatte die Originale kurz zuvor gekauft und dem Vorsitzenden der französischen Offenbach-Gesellschaft Jean-Christoph Keck zur Bearbeitung übergeben. In Josses Verlag erschien dann auch eine Edition, nur wußten außer Keck und Josse nur Kaye und der Schott-Verlag von diesem Jahrhundertfund.
Der Justitiar vom Schott-Verlag, Christian Sprang, hielt 1994 selber die Originale in Paris in den Händen, konnte sich mit dem Unterhändler aber damals nicht endgültig einigen. Daß diese Musik aber der Öffentlichkeit bekannt gemacht werden sollte, war für ihn ohne Zweifel.
Christian Sprang:

O-Ton: Diese Edition wurde fertig kurz bevor...Nachlaßverwalter versteigert wird. (9)

Michael Kaye verhandelte zwar mit der französischen Seite über den Verkauf oder zumindest über eine beiderseitige Zusammenarbeit, da die Noten zum Finale des 4. Aktes nur mit seiner Edition und dem Textlibretto von Heinzelmann sinnvoll werden.
Aber die französische Seite mit Jean-Christophe Keck weigerte sich. Sie spekulierte - so Kayes Meinung - auf die 10-Jahresfrist, nach der die Kaye-Edition 1999 urheberrechtlich nicht mehr geschützt sei und damit weltweit verwendet werden könnte. Daß diese Frist mittlerweile aber auf 25 Jahre hochgesetzt worden ist, war in Frankreich noch nicht bekannt. Den daraufhin gestellten finanziellen Forderungen Kecks konnte und wollte Kaye nicht nachgeben:

O-Ton: Traurig ist, daß der Besitzer des Originals...zehn Jahre gewartet hat. (34)

Die Vertreter vom Schott-Verlag waren in dieser Situation erfreut, als ihnen plötzlich von anderer Seite Kopien genau dieses Giulietta-Aktes angeboten wurden, um dessen Original sie zuvor gekämpft hatten. Sprang traf sich in Paris mit dem Händler, der vertraglich nicht genannt sein will, und vereinbarte eine fünfstellige Summe als Kaufpreis. Daß der Verlag diese Noten schnellstmöglichst publizieren würden war keine Frage und dabei wußten der Verlags-Justitiar Sprang, daß ihnen das deutsche Urheberrecht dazu die Handhabe gibt.
Das sogenannte indicio princeps gilt als die Grundlage für die Schott-Publikation. Christian Sprang zur Rechtslage:

O-Ton: Jetzt erhielten wir Kenntnis...das zu veröffentlichen. (10)

Der französische Verwalter der Originalnoten, Jean Christophe Keck, gibt sich mit dieser Rechtsauslegung nicht zufrieden und verhandelt über seinen deutschen Anwalt Stefan Mumme:

O-Ton: Interview!

Der Schott-Verlag hält mit seinen Argumentationen aber an dem Indicio Princeps fest:


O-Ton: Ich kann Herrn Keck verstehen...wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. (12)


Gestern, am 21.Januar lief die Frist aus, die der Anwalt Mumme dem Mainzer Schott-Verlag und der Hamburger Staatsoper gesetzt hatte, weiterhin dergleichen Rechtsverletzungen zu unterlassen. Die Uraufführung am Sonntag wird zwar wie geplant über die Hamburger Bühne gehen - Keck will der Musikwelt Hoffmanns Erzählungen als vollständige Oper ja nicht vorenthalten - sein Anwalt denkt jetzt aber über nächste juristische Schritte nach:
O-Ton:

Somit wird der Vorhang nach dem letzten Akt im dt.-frz. Rechtsstreit auch nach der Hamburger Aufführung in zwei Tagen noch lange nicht fallen.

O-Ton: Musik - Klavierfassung des Finales (hier in der Klavierfassung mit Ingo Metzmacher)