Interview mit dem tschechischen Regisseur Jan Sverak über seinen
neuen Film "Kolya" Aug.97
______________________________________________________________________ Übersetzung Ihr Film ist schon verschiedentlich als eine Geschichte bezeichnet worden von einem alten Junggesellen, der von einem kleinen Mädchen (sic!) aufgescheucht wird. Ihr Vater dachte zum Beispiel an eine Geschichte über einen Mann, der unter verschiedenen Zwängen steht und der Stimme seines Herzens folgt. Woran haben Sie gedacht? Für mich ist es ein Film über ein sechzigjähriges Kind, das selbstsüchtig ist, das Verantwortung zurückweist und durch diesen Jungen wird es erwachsen. Was mich beeindruckt hat ist, daß Ihr Film so unpolitisch scheint, aber es scheint auch nur so. Was denken Sie über politischen Ambitionen, Politik hintergründig durchscheinen zu lassen? Wir haben versucht, wo es ging, das ganz außen vor zu lassen, weil wir unter einem so starken Einfluß der Geschichte leben, gerade in diesem Teil Europas, daß man hier selbst die Geschichte eines Insektes nicht ohne geschichtlichen Hintergrund drehen kann. Sie haben recht, daß wir keinen politischen Film machen wollten. Es ist ein Film über Menschen, über Verhältnisse zwischen Menschen, aber Politik gehört dazu. Die Tatsache, daß der kleine Junge ein Russe ist, hat doch sicher etwas mit Ihrer politischen Vergangenheit zu tun? Stimmt das? Ich denke, die Tschechen haben einige Vorurteile gegen die Russen? Einige von ihnen haben sie, einige von ihnen haben keine, andere vermissen die Russen. Wirklich, natürlich. Kommunisten, vor allem ältere Leute. Einige von ihnen meinen, daß die russische Kultur sehr wichtig ist und daß es ungesund ist, irgendetwas absolut anzunehmen oder abzulehnen. Und jetzt konzentrieren wir uns nur auf die amerikanische Kultur und das ist genauso ungesund. Was für eine Kultur ist das denn? Es ist natürlich schwer, eine richtige Balance zu finden, aus jeder Kultur das Beste auszuwählen, das ist eine komplizierte Sache. Sie können das zum Beispiel in unseren Kinos sehen. Vor der Wende hatten wir höchstens 15 amerikanische Filme im Jahr. Die meisten von ihnen waren sehr, sehr gut. Nur Filme, die irgendwie politisch problematisch waren, die durften wir nicht sehen. James Bond konnten wir zum Beispiel nie sehen. Dann sahen wir noch französische, polnische, russische, italienische Filme und heutzutage gibt es im Kino nur noch amerikanische Filme, und nicht nur die 15 oder 20 von der Spitze, sondern alle. Und das zerstört den Markt, weil die Leute das Gefühl haben, da ist was nicht in Ordnung mit dem Kino, da ist soviel Müll, wie kann das sein? Das Kino ist nicht mehr das, was es sein sollte, und sie verstehen nicht, warum sie drei Monate lang denselben Plot sehen müssen, wieder und wieder. Mich interessiert noch das Verhältnis zwischen Ihnen und Ihrem Vater. Ich denke, es ist recht ungewöhnlich. Ich weiß, daß Geschwister gemeinsam Filme drehen. Gibt es keinen Generationenkonflikt zwischen Ihnen? Ich meine, ist eine Frage der Ehrlichkeit, daß Sie sich ungezwungen austauschen können mit Ihrem Vater? Haben Sie keine Probleme damit? Natürlich hat man Probleme, aber wenn man zusammenarbeiten will, muß man damit fertigwerden. Das ist die Kunst, Kompromisse zu schließen, diplomatisch zu sein, miteinander zu reden. Das ist schwierig, aber es ist besser, als mit völlig fremden Leuten zu arbeiten. Bei meinem Vater verstehe ich, wann er übel drauf ist, wann er wütend und wann er müde ist. So weiß ich, was mit ihm los ist und es ist natürlich auch einfacher, ihn unter Vertrag zu nehmen. Aber wie soll ich mir Ihre Zusammenarbeit vorstellen? Macht er das, was Sie wollen? Also, jeder von uns hat ein anderes Gebiet, auf dem er besser ist. Er ist nicht der Regisseur und ich bin nicht der Drehbuchautor. Ich vertraue darauf, daß das, was er schreibt, lustig ist und funktioniert. Und ich haben da nur einige Kommentare und Fragen dazu. Und er glaubt daran, wie ich sein Skript verfilme, die Rollen besetze und dazu hat er dann auch nur einige Kommentare oder Empfehlungen. Wollte Ihr Vater nun seine Kinder seine Geschichte erzählen, etwas, was er selbst erlebt hat? Es ist möglich, aber mein Vater war nicht so ein Frauenheld. Es ist nicht seine eigene Geschichte, aber es gibt eine Menge Dinge, die er wirklich so erfahren hat: Dieses Verhör auf dem Polizeirevier.Er war wirklich da und er wurde so behandelt. Der eine Polizist war nett und der andere Polizist ein "bad guy" und er sagte, er hatte sich sehr gefürchtet als er auf dem Polizeirevier war. Sofort danach, abends, als er seinen Freunden im Theater davon erzählte, war es ein großer Spaß. Es stimmt also nicht, wenn manche Leute sagen, daß es so damals nicht war während des kommunistischen Regimes. Zuerst einmal ist dieser Film eine Komödie und als zweites ist er über das Ende des Kommunismus als das Regime schwach war und...es war wirklich so, wie er es im Film zeigt. Ihr Film ist über einen russischen Junge, über Kolya. Ich vermute, Sie haben Russisch in der Schule gelernt und können es sprechen? Ich habe Russisch 15 Jahre lang gelernt und jetzt war es die erste Möglichkeit, daß ich es nutzen konnte. Und wie ist Ihr Verhältnis zu der russischen Sprache heute? Ein wenig schwierig? Ich habe es niemals nutzen können, das ist bizarr. Ich hatte nur 4 Jahre Englisch und der Rest war Russisch. Ich kann es fließend lesen und das meiste verstehe ich auch. Aber ich hatte nie einen Grund, warum ich es benutzen sollte. Und die englische Sprache benutzt man schon, wenn man englische Musik hört, englische Filme sieht, also eigentlich immer. Es war nur eine Geistesübung, diese Sprache zu lernen, verstehen Sie, wissen Sie was ich meine? Wenn der Geist arbeitet, dann ist es sowieso gut für ihn, egal ob Sie eine afrikanische Sprache lernen oder Russisch. Deshalb war ich froh, daß ich in meinem Leben die Gelegenheit hatte, 15 Jahre Unterricht zu benutzen für einen Zweck, der sinnvoll war. Und wie konnten Sie eigentlich den kleinen Jungen finden? In Moskau? Moskau war ein großer Spaß. Wir gingen zu Mosfilm, das ist so ein Studio wie die Paramount-Pictures und da gibts das Studio von Nikita Michalkov. Seine Leute machten die Castings für uns. Wir sind fünf Mal dorthin gefahren, fast ein Jahr lang suchten wir nach diesem Jungen und zwar erfolglos. Die Mütter kamen mit ihren Jungen und erzählten uns Gedichte auf Russisch - es war schrecklich! Ich versuchte immer, höflich zu sein und sie nicht aus dem Raum zu jagen: "Du bist gut, du bist gut und du bist häßlich." Das kann man einem Kind nicht antun. Ich erinnere mich noch, als ich ein Kind war und sie mich zu einem Casting mitnahmen, gaben sie uns eine Nummer und machten ein Bild von uns. Dann sagten sie: "Nummer 31" oder "Nummer 25". Und der Rest war nicht so gut. Es war eine Erniedrigung. Deshalb rede ich bei jedem Casting mit jedem von ihnen, um sie fühlen zu lassen, daß auch sie Menschen sind. Deswegen war es auch ziemlich anstrengend. Und am Ende, nach einem Jahr, sah dieses russische Studio, daß wir wirklich unglücklich waren, daß wir uns dem ersten Drehtag näherten und uns immer noch einer der Hauptdarsteller fehlte. Da gingen sie in die Moskauer Kindergärten und filmten mit der Videokamera die schlimmsten Raufbolde, sie fragten nach den Unruhestiftern weil das meistens Persönlichkeiten sind, die die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Und so haben wir es gemacht: Neben 15 kleinen Gangstern gab es auch ein paar Jungs, die nur Persönlichkeiten waren und keine Gangster, und einer von ihnen war Kolya. Und er spricht wirklich nur Russisch? Ja. Er war das erste Mal an Bord eines Flugzeuges, als er von Moskau nach Prag flog und auch das erste Mal im Ausland. Der Flug ist zweieinhalb Stunden lang. Als wir in Prag landeten, fragte er seine Mutter, wie denn alle Leute an Bord diese seltsame Sprache lernen konnten während des Fluges, und er nicht. Und überall um ihn herum, sprach man diese geheimnisvolle Sprache - Tschechisch und er konnte es nicht verstehen. Ich mag in Ihrem Film die kleinen Beobachtungen des Lebens, z.B.die Hochzeitsfeier oder dieser Polizist. Meinen Sie, daß diese Momente beide Seiten des Lebens focussieren? Die gute und die schlechte? Die gehören die ganze Zeit zusammen. Ich mag keine Filme, die nur lustig sind oder nur depressiv oder tiefgehend, weil unser Leben immer eine Art Cocktail von Gefühlen ist. Mache sind den ganzen Tag über sehr traurig, und doch gibt es einen heiteren Augenblick während dieses Tages, wenn jemand sie anruft, und Du mußt lachen, obwohl man man eigentlich weint.Und das ist in meinem Film genauso vermischt. (Für Ihren Film "Kolya" bekamen Sie in diesem Jahr den Oscar für den "Besten nicht-englischsprachigen Film".) Half Ihnen die Oscar-Nominierung bei der Finanzierung (Ihres Projektes "Kolya")? Meine erste Oscar-Nominierung half mir nur in meiner Heimat, den Film zu finanzieren. Sie hatte keine große Wirkung auf Produzenten von außerhalb. Aber sie half mir dabei, viele Menschen zu treffen, unter anderem Eric (meinen Produzenten), weil ich 1992 solch ein Prestige hatte, daß ich sogar gefragt wurde, Mitglied in der Jury des größten Filmfestes unseres Landes zu werden, wie auch mein Produzent Eric (Abraham) und die Grundschule half mir, "Kolya" zu drehen. Und jetzt, nach dem Oscar, was passiert nun bei Ihnen? Wenn wir jetzt ein gutes Drehbuch hätten, wäre es kein Problem mehr, Geld zu bekommen, was ja sehr wichtig ist. Das seltsame ist, es zeigt Dir, was das wichtigste ist: die richtige Story. Aber wir suchen nach einer guten Geschichte. Mein Vater schreibt gerade eine, er ist auf Seite 33 von 120...er wird also noch einige Monate brauchen. Ich vermute, Sie haben das schon oft gehört,daß Ihre Filme verglichen werden mit denen von der früheren tschechischen Filmschule...Forman, Jurai Herez, Jiri Menzel. Fühlen Sie sich sehr dieser Tradition verbunden? Ich glaube, daß kommt mit der Umgebung. Ich habe natürlilch all die Filme gesehen, als ich jünger war und schon von daher gibt es einen Beeinflussung.Und warum nicht? Aber Ihr Vater hat auch Skripte für Jiri Menzel geschrieben... Ja, sogar ziemlich viele. Und jetzt mache ich zwei, vielleicht drei von ihnen. Eins davon ist der jetzige Film, in dem mein Vater zwei Generationen verbindet...und er kann das, er ist 60. Er hat diesen Humor und die Philosophie von jenen. Ich bin da ein wenig jünger. Aber ich denke, viele junge Regisseure versuchen, einen neuen Weg zu gehen als die ältere Gerneration?! Das versuche ich doch auch. Warum? Also, wie wir den Film gemacht haben, da waren wir das genaue Gegenteil von diesen jungen Regisseuren. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Als ich meinen ersten Film gedreht habe - nach einem Skript meines Vaters - ,nun, ich hatte das noch nie gemacht, und als Regisseur mußte ich ja das technische Skript schreiben. Jede Einstellung wird darin beschrieben und bekommt eine Nummer. Ich war mir wirklich nicht sicher, ob ich das richtig mache. Als ich das beendet hatte, zählte ich 850 Einstellungen. Ich war mir nicht sicher, ob das nicht zuviel oder zuwenig war und da habe ich mich am Skript von Menzel für 'Sweet Little Village' orientiert, in dem es nur 245 Aufnahmen gab, 600 weniger. Da war ich mir sicher, daß ich es falsch gemacht hatte. Aber ich wußte eben nicht, was ich falsch gemacht hatte. Da nahm ich mir das Band von Bob Foss' Film 'All That Chess'. Der hatte 817 oder so. Da hab ich mitgekriegt, daß es zwei Wege gibt, einen Film zu machen: Entweder ihn auf den Handlungen der Schauspieler oder ihn auf der Dynamik der Einstellungen aufzubauen. Und das ist die amerikanische Schule und der amerikanische Einfluß, die Art und Weise, wie wir heute Filme machen. Das ist einer der Unterschiede zwischen den beiden Generationen. Aber dies ist sehr technisch, was Sie gerade erwähnen!? Nicht nur technisch, denn ich, wir studieren die Geschichte durch die Schauspieler. Sie sind die, die die Geschichte voranbringen. Ich benutze verschiedene Winkel, und manchmal beobachte ich die Schauspieler überhaupt nicht, sondern was sie unter dem Tisch machen, oder was die Fliegen machen, oder ich betrachte es aus der Perspektive irgendeines Tieres, dies ist einfach ein anderer Weg, eine Geschichte zu erzählen, nicht nur eine technische Sache.Wenn es einfach eine technische Sache wäre, dann gäbe es keinen Grund, diese Methode zu benutzen, denn dann wäre es auf die klassische Art billiger. Es ist ziemlich schwierig, drüber zu reden. Vielleicht sind Sie da jetzt nicht so eingebunden in die Szene, aber : Denken Sie, daß es eine neue Generation von Filmemachern in Tschechien gibt? Es gibt durchaus ein paar junge Namen, talentierte Leute, die ihre eigenen Sachen machen, nicht einfach amerikanische Muster kopieren, wie es in allen östlichen Ländern nach der Wende in Mode war: Jeder versuchte damals, einen amerikanischen Film zu machen. Nun haben sie ihren eigenen Weg gefunden, sich auszudrücken. Vielleicht werden von dieser Seite noch ein paar interessante Dinge sehen. |