Interview zum Film "Fire" von Deepa Mehta vom 4.Juli 1997

Frau Mehta, Indien ist derzeit der größte Produzent von Filmen und auch der größte Film-Markt weltweit. Im Gegensatz zu indischen Filmen ist Ihr Film aber eher westlich geprägt. War das eine Entscheidung für die bessere weltweite Vermarktung von "Fire"? 

A: Sie müssen wissen, daß ich diesen Film in Delhi mit privaten Geldern gemacht habe. Es ist sehr stark ein 'low budget film'. Als ich ihn drehte, dachte ich nicht an irgendein Publikum. Ich dachte nicht daran, ob das nun ein Film für ein indisches oder ein westliches Publikum sein soll. Ich machte den Film, weil ich den Film machen wollte. Ich dachte überhaupt nicht an das Publikum. Vielleicht ist das ja naïv von mir, aber es ist auch sehr wichtig, sich selbst gegenüber ehrlich zu bleiben, denn wenn sie anfangen, einne Film für ein Publikum zu machen, dann hat der Film kein Fundament. Das einzige, was dieser Film hat, ist ein Bild dessen, was ich ich aus diesem Film machen wollte, denn ich schrieb das Drehbuch. Ich habe ihn nicht für ein westliches Publikum gemacht. Meine Technik ist vielleicht eher durch das europäische als durch das kanadische oder US-amerikanische Kino geprägt -durch eine Sensibilität vor allem - und ich denke, der Film ist vor allem ein Amalgam meiner Lebensstile. Es ist nicht ganz indisch, aber auch nicht westlich, sondern eine Kombination von beidem. Und ich denke, daß ist sehr unterbewußt...es ist nicht so, daß ich jeden Tag denke, okay, heute bin ich indisch, morgen bin ich kanadisch. Ich bin ein Produkt zweier Kulturen. 

Ist Homosexualität und lesbische Liebe heute ein Thema in Indien? 

A: Ich denke, wenn Sie sich die indische Kultur betrachten, die Miniaturen, Gemälde, die Literatur, es war immer da. Aber als die Briten kamen vor 300 Jahren da gab es sofort eine Reaktion, die alles schützte, was irgendwie sexuell war. Die Gesellschsft selbst zog die Frauen zurück und trennte sie voneinander, auf eine Art und Weise wie es nie zuvor getan wurde. Wissen Sie, geschichtlich betrachtet haben wir eine ziemlich liberale Denkweise, speziell was das Sexuelle betrifft, aber die unglaublichen Invasionen, die geschahen, die britische Herrschaft, die sich etablierte, trennte sofort Männer und Frauen voneinander. Und was geschieht, wenn das passiert, ist, daß die Gesellschaft selbst sehr konservativ wird. Es ist also nicht so, daß es nie Homosexualität oder lesbische Liebe in Indien gegeben hat. Es ist nur so, daß in der letzten Zeit die Leute nicht darüber reden. 

Aber wissen Sie, wir machen die Normen, was jetzt moralisch und was unmoralisch ist. Vergessen Sie nicht, es ist jetzt erst 100 Jahre her, daß Oskar Wilde hinter Gitter mußte, weil er homosexuell war. Und es gibt immer noch Leute im Westen, die sich outen, in einem Land wie Amerika - Sie wissen, da gibt es diese TV-Persölichkeit namens Allan, die sich zur Prime-Time outete...und sagte, ich bin eine Lesbe, das ist erst zwei Monate her. Es ist also nicht so, daß der Westen völlig offen in Fragen der Sexualität sei...er ist immer noch sehr konservativ. Ich denke, geschichtlich betrachtet, ist es so, daß also das, was wir als nicht normal empfinden, anormal wird. Das ist eine Tautologie irgendwie und wir kehren es unter den Teppich. Indien ist nicht sehr verschieden vom Rest der Welt. 

Mich interessiert Ihre Kindheit: Sie sind in Indien aufgewachsen, haben dort studiert, kennen die Traditionen einer indischen Familie... 

A: Wie definieren Sie eine tradtionelle Familie? Ja, ich bin in Indien geboren, ich ging in Indien zur Schule, habe in Indien die Uni besucht - Sie wissen ich habe da den master of philosophie gemacht - ich komme aus einer ziemlich liberalen Familie der Mittelklasse, also überhaupt nicht traditionell, denn wir waren immer, besser gesagt, meine Eltern ermunterten mich immer, mein Potential auszunutzen. Es war nie so, daß es hieß, Du bist jetzt 18 und sollst jetzt heiraten. Es hieß nur, was willst Du mit Deinem Leben machen? Was immer Du machen willst, übernimm die Verantwortung dafür. Und ich denke, das war ziemlich untraditionell. 

Können Sie verstehen, daß die Ehen in Indien arrangiert werden? 

A: Ja, wir hatten immer arrangierte Hochzeiten in der indischen Gesellschaft und der Grund dafür war wiederum die Menge der Invasion, die Indien von Völkern außerhalb von Indien erlebte. Also, als die Muslime kamen, als die Chinesen kamen, als die Briten kamen wurden Frauen eigentlich immer vergewaltigt. Ein Grund, weshalb man also annahm, es könnte die Frauen schützen, war, sie möglichst früh zu verheiraten. Und die Möglichkeit sie früh zu verheiraten und die Tatsache, daß Männer und Frauen getrennt waren in der Gesellschaft. Frauen hatten keine Möglichkeit, ihre eigenen Partner zu finden, denn wir hatten sicher keine eigenen Diskoteken oder Treffpunkte. Also wurden die Heiraten von den Familien arrangiert. 

Und nun ändern sich diese Dinge sehr radikal, denn Männer und Frauen treffen sich recht häufig und können ihre Hochzeiten selbst arrangieren. 

Es scheint mir manchmal ein wenig ungewöhnlich, daß Sie in Indien auf der einen Seite eine Frau als Premierministerin hatten, auf der anderen Seite aber Frauen so tradionell leben? 

Da möchte ich Sie eines fragen: Seit wann sind die Politiker die Repräsentanten der Masse? Nie, nicht im Osten und auch nicht im Westen, nie. 

Also, gut dann hatten wir eine indische Premierministerin, oder wenn Sie nach Israel schauen, dort hatten sie Golda Mair. Es ist nie eine Repräsentation dessen gewesen, was wirklich in der Gesellschaft geschah. Die Stimmen kommen von sehr wenigen Leuten. 

Ein zentrales Bild im Film ist ein großes Feld gelber Blumen. Warum? 

A:Das ist die Wahrnehmung, eine Metapher für die Wahrnehmung, wie wir etwas sehen, was wir sehen wollen. Wir haben die Fähigkeit, mehr zu sehen als das, was wir eigentlich sehen können, aber wir tun es nie. Wir haben die Fähigkeit, eine Wahl zu treffen, die wir zwar treffen können, die aber unmöglich erscheint, denn es gibt immer irgend eine Barriere. Es ist also eine Metapher. 

Sie haben wirklich ziemlich viele Metaphern der indischen Tradition verwendet. Heißt das, Indien kommt zurück zu seinen Wurzeln? 

A: Nein, also absolut nicht. Ich glaube nicht, daß die Inder zurück zu ihren Wurzeln gehen müssen, ich denke, die Inder müssen sich ändern, denn wenn sie keine sich ändernde Gesellschaft haben, werden sie nicht wachsen. Und ich denke, wir haben das Recht, soviel zu wachsen wie jeder andere auch. Und der Grund warum ich Szenen aus der indischen Mythologie benutze, ist, daß ich sie in einen Kontext dazu setze, woher die Männerherrschaft kam. Ob sie von alten Schriften kommt, in der die Reinheit der Frauen getestet wurde. Dann wollte ich zeigen, daß in unseren heiligen Büchern sich die Rolle der Frauen eigentlich nicht geändert hat. Ich wollte das Ganze also in einen Kontext setzen ud nicht sagen: Laßt uns dorthin zurückkehren. Nein wirklich nicht. Ich habe keinen Wunsch, daß irgendjemand zu irgendetwas zurückkehrt, denn die Vergangenheit ist tot. Man kann von ihr lernen, sie kann ein Teil deines Lebens werden, aber es ist nicht dein Leben. 

Und wie war die Reaktion auf den Film in Indien? 

A: Der Film wurde ja auf einem indischen Filmfestival gezeigt, und die Reaktion der indischen Männer war sehr feindselig, denn sie fühlten sich unglaublich bedroht durch den Film, sie fühlten ihre Männlichkeit durch den Film in Frage gestellt. Der Film schaffte es irgendwie, den Status Quo in Frage zu stellen, wonach Männer qua definitionem die Könige sind, und Frauen immer danach beurteilt werden, mit wem sie verheiratet sind. Eine indische Frau ist zunächst einmal eine Mutter, eine Ehefrau, eine Schwester, eine Tochter und erst dann eine Frau. Und wenn sie einen Film haben wie 'Fire', der sagt, daß jeder, speziell Frauen, die traditionell unterdrückt wurden, das Recht haben, ihren eigenen Weg zu gehen, ihre eigene Wahl zu treffen, dann fühlt sich der durchschnittliche Mann bedroht. 

Q: Meinen Sie, Ihr Film könnte etwas in Indien ändern? 

A: Oh, mein Gott! Ich weiß nicht, ich denke, das ist zuviel verlangt, aber ich hoffe, es beginnt ein Dialog. Das es Leute anregt zu denken und zu reden, das wäre wunderbar. Veränderungen...das kann ein Film nicht. Ich denke, ein Film kann nur Dinge hinterfragen. Aber ich glaube, geschichtlich, betrachtet, daß ein Film jemals etwas veränder hat.